Dienstag, 17. September 2013

Wacht auf, Entspannte dieser Erde!

Wir kennen alle die Fabel vom Jungen, der so oft vorm bösen Wolf gewarnt hat, dass ihm niemand mehr glaubte, als das Raubtier tatsächlich vor der Stalltür stand. So ungläubig sind mittlerweile viele Deutsche: jahrelang wurde vorm Dritten Weltkrieg, dem Waldsterben, dem Klimagau und anderen Weltuntergängen gemahnt und gewarnt, in der Absicht, den Angstpegel hoch und die Bereitschaft zu Einkehr und zahlkräftiger Buße hochzuhalten. Nichts von all den vorhergesagten Katastrophen trat ein. Und nun glauben wir rein gar nichts mehr.
So jedenfalls könnte man sie interpretieren, die Umfragen, denen zufolge die Deutschen derzeit ohne Ängste und Hoffnungen in die Zukunft blicken: German Angst war einmal. Himmelhochjauchzend ist allerdings auch niemand, aber warum auch, man muss ja nicht immer gleich vom einen ins andere Extrem verfallen.
Und so lassen die einen Mutti walten, die anderen stecken den Kopf in den Sand, wieder andere verlassen sich auf die stabil produktive Wirtschaft, und der Rest bleibt einfach gutgelaunt und mag vor allem die ganzen Miesepeter nicht, die ihm Krise und Krieg einreden wollen. Offenbar kann man sie hierzulande nicht mehr hören, die Untergangspropheten, die aus einer Erdbebenkatastrophe in Japan eine Atomkatastrophe gemacht und mit dem „Klimaleugner“ eine neue Spezies erfunden haben, der man, ähnlich den Holocaustleugnern, den Mund verbieten müsse; die Ablassprediger, die jedem ein schlechtes Gewissen einreden möchten, damit der Rubel rollt; die Moralapostel, die uns ein Glück vorschreiben möchten, dass sie vorsichtshalber selbst definiert haben. Glückwunsch, Deutschland! Großartig, dass unsere Probleme nicht größer zu sein scheinen als die Frage, ob man bundesdeutschen Kantinenessern einen Veggieday vorschreiben darf.
Und so wäre also alles gut, wenn nicht tatsächlich ein paar ziemlich struppige Wölfe vor der Stalltür stünden, die allerdings keinen der bekannten Namen tragen. Deshalb, und während Deutschland sein Glück genießt (und manch einer noch der Kanzlerin neue Kleider bewundert), bleiben die hungrigen Raubtiere unerkannt. Wer sie gesehen hat, spricht nicht über sie. Wer sie kennt, nennt sie nicht beim Namen. Ausgerechnet die Marktschreier des Weltuntergangs schweigen, wenn es um die Wölfe vor der Haustür geht, die bereits im Schafpferch wildern. Schon das ist ein Grund zum Misstrauen. Wenn selbst die Fachleute der orchestrierten Angstmache mal ihr Maul halten, muss es wirklich ernst sein.
Bei näherer Betrachtung: es ist ernst. Sehr ernst sogar. Und deshalb: Wacht bitteschön auf, Entspannte dieser Erde, wenn euch am Frieden gelegen ist und ihr euer bisschen Wohlstand lieb habt. Draußen stehen die Wölfe und haben Hunger. Eure ja eigentlich bewundernswerte Ruhe und Gelassenheit wird einem langsam ein wenig unheimlich.
Gewiss, soviel Zufriedenheit kommt den meisten der im Parlament vertretenen Parteien ausgesprochen gelegen, denen reicht es, wenn die Wähler stille sind und ihr Kreuzchen machen wie gehabt. Und deshalb herrscht in diesem Wahl“kampf“ zu wichtigen Themen beredtes Schweigen, sofern man die Debatte nicht schon vor der Eiteilung mit dem Wort „alternativlos“ beenden konnte. „Gerechtigkeit“ wollen natürlich alle, das ist so schön wolkig, da kann sich jeder wiederfinden. Wenn’s konkret wird, ist’s schon wieder ungemütlich. Etwa, wenn es um den Euro geht. Oder um den „Nahen Osten“, der so heißt, weil er blöderweise um die Ecke liegt.
Was den Euro betrifft, so ließ die Kanzlerin noch jüngst wissen: „Der Euro ist gut und sichert Arbeitsplätze für Deutschland.“ Alles klar? Wem das nicht reicht, dem sei noch ein „der Euro ist die EU ist Europa“ entgegengehalten. Und dass es ohne die europäische Vereinigung nicht so lange Frieden in Europa gegeben hätte. Nun verdanken wir diesen günstigen Umstand zwar dem Kalten Krieg und der Nato, aber wer will das schon so genau wissen? Wenn der Euro Frieden bedeutet, muss man alles tun, um ihn zu retten, zumal die Deutschen, schon der Vergangenheit wegen, oder?
An solchen Vorfabrikaten ist so ziemlich alles falsch, sichtbar und spürbar zerreißt der Euro Europa, weil er zusammenzwingt, was nicht zusammengeht – unterschiedliche Ökonomien und auseinanderklaffende Leistungsfähigkeit. Aber gerade die Deutschen lassen sich ungern unterstellen, nicht „solidarisch“ zu sein, ein Wort, das es dem Bürger schmackhaft machen soll, ökonomische und politische Fehlleistungen anderer auszubaden. Solidarisch also retten wir alles mögliche, den Euro, korrupte Eliten und die Banken (nur nicht diejenigen, die unter der Staatsschuldenkrise wirklich handfest leiden: die Griechen, etwa). Und es käme uns viel zu egoistisch vor, mal nachzurechnen, ob sich die Deutschen diese Sorte Solidarität auf die Dauer überhaupt leisten können.
Auch über den ewigen Krisenherd im Nahen und Mittleren Osten reden Politiker in Wahlkampfzeiten ungern. Gut, dass die USA der Bundesregierung in Sachen Syrien kein Handeln aufgezwungen hat – kurz vor der Wahl, um Himmelswillen! Deutschland ist für Frieden, punktum, auch, wenn andere ihn nicht halten. Soviel Friedensverlangen tut unschuldig und ist es ganz und gar nicht, auch Nichthandeln hat Wirkung. Eine Aufforderung zum Handeln aber, die lediglich moralische Gründe bemüht, ist ebenso töricht wie gefährlich. Die moralische Debatte unterschlägt die unendlich mühevolle Auseinandersetzung mit den realen Optionen, die meist nur die Wahl zwischen mehreren großen Übeln bedeuten. Deutschland ist keine Insel der Seligen mehr. Wir müssen wieder Außenpolitik lernen. Das dauert, offenbar, und bis dahin stehen wir wie der dumme Riese in der Gegend herum und lassen uns auslachen.
Draußen heulen die Wölfe. In nächster Nachbarschaft droht eine Region aus dem Ruder zu laufen. Und Zuhause ist es auch nicht mehr gemütlich. Der Euro hat den Frieden in Europa längst zerstört, und unsere Nachbarn können sich nicht entscheiden, ob sie Deutschland für schuldig halten oder seine Führerschaft einklagen. Dass man gemeinsame Probleme auch gemeinsam lösen kann, ist offenbar keine Option mehr.
Reden wir darüber? Im Bundestag fehlt – noch – die eurokritische Stimme. Eine intellektuelle Debatte, die auf dem Niveau der Probleme wäre, ist nicht in Sicht. Der Winter wird kalt und die Wölfe heulen. Reden wir darüber, solange das Haus noch steht.

2 Kommentare:

  1. Hallo Frau Stephan,

    erst gestern war ich mit einem dieser Entspannten in ein Gespräch verwickelt.
    Selbstverständlich war für ihn der Euro eine gute Sache, weil unsere Wirtschaft ja so stark davon profitiert und es überhaupt so vielen Menschen deshalb so gut geht.
    Und ja, die gegenwärtige Regierung macht eine gute Politik und nur das Hochwasser vom letzten Juni wird wohl verhindern, dass unsere Schulden weiter abgebaut werden können.
    Natürlich freut er sich auch für all die Mühsamen und Beladenen, die gegenwärtig nach Deutschland kommen. Wir würden diese Menschen ja auch alle dringend brauchen.
    Dementsprechend ist die AFD auch keine Option, schon wegen ihrer Position zum Thema Einwanderung. Obwohl er es schon für möglich hielt, dass sie ein paar Stimmen aus dem Lager der Ewiggestrigen bekommen könnten, die sich am liebsten die DM zurückwünschten......

    Übrigens, der Mann ist Lehrer.
    Ich fürchte, der meint das wirklich so.

    Herzliche Grüße

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  2. Auf den hinteren Seiten des Figaro, so ab Seite 15/16, stehen täglich Artikel über Frankreich und/oder Deutschland. Sehr interessant.

    Es fehlt immer nur ein Satz: Und darum ist es für Deutschland und für Frankreich besser, aus dem Euro auszutreten.

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